Die Nachbarschaften als Ursprung
der ländlichen Schützenvereine
Ohne Gesetz und Zwang hatten sich unsere Vorfahren auf dem Lande
nach ihrer Niederlassung wie die Glieder einer großen Familie
zu einer festen Gemein-schaft zusammengeschlossen, der sie den
schönen Namen „Nachbarschaft" gaben.
Der gleiche Beruf, die - gleichen äußeren Lebensbedingungen,
die gleichen Interessen, die oft gleichen Schicksalsschläge
- wie Brände und Seuchen unter Menschen und Vieh - sowie
das gemeinsame Markenland erleichterten ihnen den Zusammenschluss.
Doch ging es hier nicht um wirtschaftliche Interessen, sondern
es war eine reine Not- und Hilfsgemeinschaft. Gegenseitig übernahm
man die Verpflichtung, einander in allen Vorkommnissen des Lebens
beizustehen, in Notzeiten auch das Leben, Hab und Gut des Nächsten
mit der Waffe zu verteidigen.
Wie wir urkundlich aus dem nahen Münsterland wissen, haben
die wehrfähigen Männer der Nachbarschaften das Räuberunwesen
als Nachwehen der damaligen zahlreichen Fehden und Kämpfe
in vielen Fällen erfolgreich niedergeschlagen.
Ähnliches erlebten wir nach dem 1. Weltkrieg ja auch bei
uns. Einbrüche, Felddiebstähle und Abschlachtungen auf
den Weiden nahmen damals einen erschreckenden Umfang an.
Der staatliche Schutz fehlte, und der einzelne Besitzer war machtlos.
Da taten sich die Männer unserer Bauerschaften ebenso zusammen
und übernahmen, mit Militärgewehren ausgerüstet,
den Schutz der Höfe, Felder und Weiden, und nur noch an die
abgelegensten Gehöfte wagten sich die Diebesbanden heran.
Nachbarschaft war nicht an die Menschen gebunden, sondern an
den Hof oder den Kotten. Heiratete sich ein junger Bauer auf einen
Hof ein, wurde er gleich als Nachbar anerkannt. Darum ist Nachbarschaft
nicht gleich- zusetzten mit Freundschaft, und es galt mit Recht
das Wort: „Ein guter Nachbar ist besser als ein entfernter
Freund." So barg und birgt auch heute noch das Wort „Nachbar"
die beruhigende Gewissheit in sich, nebenan Menschen zu wissen,
die nach ungeschriebenen und doch verpflichtenden Gesetzen schuldig
und verbunden sind, einander in allen Fällen beizustehen.
Um in ruhigen Zeiten den Gemeinschaftssinn über den Rahmen
der nachbar-lichen Pflichten hinaus zu pflegen, führten die
Zusammenkünfte und Beratungen zu gemütlichen Abenden
und kleinen Festen.
Als Überbleibsel davon hat sich bis auf den heutigen Tag
das Fastnachtsessen der wenigen noch bestehenden Nachbarschaften
erhalten. Den jungen Männern genügte das aber nicht.
Sie wollten für einen notwendigen Einsatz bereit und gerüstet
sein. Darum führten sie Schießübungen durch, und
einmal im Jahre veranstalten sie unter sich ein Wett- und Preisschießen.
Dabei wurde ein hölzerner Vogel auf einer langen Stange aufgerichtet,
und wer das letzte Stückchen abschoss, war der Sieger. Anfangs
ging es hierbei nicht um die Erringung der Königswürde,
sondern es wurden für die besten Schützen Preise ausgesetzt.
Nach einem noch vorhandenen Protokoll aus dem Kreise Warendorf
erhielt z. B. der Meister-schütze 25 Mark in bar; der, der
die Krone abschoss, bekam einen Regenschirm; für den Abschuss
des Zepters gab es eine lange Pfeife und für den des Reichsapfels
eine Zigarrentasche. An diesem Schießen durften aber nur
die der Nachbarschaft angehörigen Männer teilnehmen.
Später lud man die umliegenden Nachbarschaften zu den Wettkämpfen
ein. Preise gab es nun nicht mehr, sondern der Sieger wurde zum
König ausgerufen. Als solcher hatte er, statt ein Belohnung
für den Meisterschuss zu erhalten, eine silberne Plakette
zu stiften und den Schützen gegenüber kleine Verpflichtungen
zu übernehmen. Aus den Plaketten entstand die Königskette,
die fortan jeder neue König als Zeichen seiner Würde
zu tragen hatte.
Das Schießen diente nun nicht mehr dem ursprünglichen
Zweck des Bereitseins; es wurde zu einem sportlichen Wettstreit,
dessen Ausklang mit Spiel und Tanz verbunden war, und, da neben
den Frauen auch das Gesinde Zutritt hatte, wurde es zu einem allgemeinen
Volksfest.
Die Schützen als Träger des Festes hatten die Kosten
zu tragen. Das wiederum verlangte feststehende Richtlinien, die
nur im Rahmen eines Vereins Beachtung finden konnten.
So kam es denn auf dem Lande zur Gründung der Schützenvereine.
Die Verhältnisse erlaubten es nicht, alljährlich ein
Fest zu feiern. Sollte es
dazu kommen, wurde zuvor eine beratende Versammlung einberufen.
In ihr wurden für das beabsichtigte Fest der Vorstand, die
Offiziere und die Unterführer gewählt, und der Beitrag,
den jeder zu entrichten hatte, wurde festgesetzt. Nach der Nachfeier
und der Abrechnung ruhte dann das Vereins-leben und kam erst wieder
zum Tragen, wenn ein neues Fest bevorstand.
Horrido
Ingo Schinck
(Geschäftsführer)
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